Vom Wert des Zuhörens

Für eine Kultur der Aufmerksamkeit in der Medizin

4. Freiburger Symposium zu den Grundfragen des Menschseins in der Medizin.

10. Juni 2016, 12:15-19:00 Uhr, Audimax (Kollegiengebäude II)
11. Juni 2016, 09:00-18:00 Uhr, Aula der Universität (Kollegiengebäude I)



Dr. med. Matthias Girke

Leitender Arzt der Allgemeinen Inneren Medizin/Interdisziplinären Onkologie, Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe

Abstract: »Qualitäten in der Arzt-Patient-Beziehung: Dimensionen des Hörens«

Die Qualität der therapeutischen Beziehung zum Patienten entscheidet sich bereits in den ersten Momenten der Begegnung: Der Patient bemerkt sofort, wie und in welchen Dimensionen er wahrgenommen wird. Steht eine befundzentrierte Diagnosestellung im Vordergrund? Oder gelingt es, ihn darüber hinaus in seinem seelischen Erleben und geistigen Wesen zu erfassen? Die gewohnte medizinische Diagnostik steht im Zeichen der Objektivierung und führt zu einer distanzschaffenden Qualität. Was hat beispielsweise die nachgewiesene HER-2-neu-Expression mit dem Krankheitserleben und den biographischen Fragen der Mammakarzinom-Patientin zu tun? Für eine patientenzentrierte Medizin und damit eine Vermenschlichung der ausschließlich objektivierenden Einstellung der Diagnostik und Therapie bedarf es neben der „Bildgebung“ einer Kultur des Hörens. Der Sehsinn macht Oberflächen sichtbar. Auch die bildgebende Diagnostik zeigt letztlich die äußeren Oberflächen und Strukturen der Organe und Gewebe, auch wenn sie im Inneren des Organismus liegen. Durch die Sonographie erkenne ich die Leber, wie wenn ich sie von außen sähe oder in geeigneten Schnitten betrachten würde. Demgegenüber vermittelt das Hören den Zugang zum Inneren des Patienten. Dabei handelt es sich zunächst um das Hören seiner sprachlichen Äußerungen. Darüber hinaus wird aber auch die Gestik, Mimik zu seiner lautlosen Sprache. Schließlich kann alles im menschlichen Organismus nicht nur seine „Oberfläche“ offenbaren, sondern zur „Sprache“ des Inneren werden.

Damit ergeben sich vier unterschiedliche Zugangsweisen zum Patienten als Qualitäten der therapeutischen Beziehung: Wir unterscheiden die gegenständliche Erkenntnis und Befunderhebung, (1) wie sie sich durch Inspektion und Palpation als auch die bildgebende Diagnostik ergibt. Eine nächste Stufe wird durch die synoptische Zusammenfassung der erhobenen Befunde erreicht: Aus den einzelnen Befunden entwickelt sich dadurch das Krankheitsbild (2). Durch das Hören (3) ergibt sich ein Zugang zur inneren Dimension des Patienten und schließlich die gemeinsame Entschlußbildung (4) für das weitere therapeutische Handeln.